Ich bin ja da – oder?
Liebe Leser*innen schön, dass Sie wieder hier sind!
Warum Führung mehr ist als Erreichbarkeit auf Zuruf.Ich begleite seit vielen Jahren Führungskräfte in verschiedenen Rollen und Branchen. Eine Situation ist mir aus der Vergangenheit besonders im Gedächtnis geblieben – weil sie so exemplarisch war für ein häufiges Missverständnis moderner Führung.
Die Situation
Eine Leiterin die ein Team von rund 25 Personen führte – intern wie extern, mit oft komplexen Aufgaben kam zu mir. Sie war reflektiert, engagiert, strategisch denkend. Und gleichzeitig ziemlich überlastet. Ihre Worte waren sinngemäß:
„Ich habe ein gutes Team. Ich muss mich da nicht einmischen. Die sind alle intrinsisch motiviert – das läuft.“
Sie sagte das nicht aus Arroganz oder Desinteresse. Sondern aus echtem Vertrauen und Zugewandtheit. Und aus Zeitnot. Sie hatte wichtige Projekte auf dem Tisch, viele Schnittstellen, wenig Kapazität für operative Führung.
Der Preis des Rückzugs
Was sie aber nicht sah – und was erst im Coaching sichtbar wurde: Im Team knirschte es. Die internen Mitarbeitenden fühlten sich alleingelassen bei der Priorisierung. Externe Kräfte wussten nicht, an wen sie sich bei Fragen wenden sollten. Einzelne übernahmen zu viel Verantwortung, andere zogen sich zurück. Konflikte blieben unbearbeitet, weil niemand sie frühzeitig auffing. Die Stimmung war noch nicht gekippt – aber sie war kurz davor.
Das Team war keineswegs demotiviert. Aber es fehlte an Führung. Nicht an Kontrolle, sondern an aktiver Präsenz.
Ein zusätzlicher Punkt kam im Gespräch sehr deutlich heraus: Die Leiterin hatte immer wieder betont:
„Ich bin für euch da – ruft mich einfach an, wenn was ist.“
Nur: Kaum jemand hat angerufen.
Nicht, weil es keinen Bedarf gab. Sondern weil das Team spürte, sie war eigentlich nie wirklich verfügbar. Der Kalender war voll, der Druck sichtbar. Keiner wollte „stören“ – also blieben viele Themen unausgesprochen. Eine gut gemeinte Einladung, die im Alltag wirkungslos verpuffte.
Führung braucht keine Daueranwesenheit – aber bewusste Präsenz
Im Coaching wurde ihr klar: Ihr Vertrauen war gut. Ihre Abwesenheit war nicht böse gemeint. Aber sie hatte Auswirkungen. Also haben wir gemeinsam daran gearbeitet, wie Führung wieder mehr Raum bekommen kann – ohne dass sie alle anderen Aufgaben fallen lassen muss.
- Regelmäßige, kurze Check-ins statt großer Statusmeetings
- Echte 1:1s mit Raum für mehr als nur To-dos
- Sichtbare Priorisierung – und das Aussprechen von Entscheidungen
- Bewusst gesetzte Momente der Anerkennung
- Und vor allem: Feste Zeiten, in denen Ansprechbarkeit wirklich möglich ist
Fazit
Ich bin ein Fan von selbstorganisierten Teams. Und von Führungskräften, die ihren Leuten etwas zutrauen. Aber Führung ist kein “Nice-to-have”, dass wir dann machen, wenn gerade Zeit übrig ist. Sie ist ein aktiver Beitrag zur Teamgesundheit. Gerade in Zeiten hoher Belastung.
Wenn ich eines aus dieser Begleitung mitgenommen habe, dann das: Selbst die stärkste intrinsische Motivation braucht Richtung, Rückhalt und Resonanz.
… und genau das ist Führung.
Deshalb stelle ich Führungskräften am Ende solcher Gespräche gern diese Frage: „Wann waren Sie das letzte Mal wirklich präsent für ihr Team – nicht körperlich, sondern als Führungskraft? Nicht im Meeting, nicht im CC, sondern im echten Austausch?“
Es ist erstaunlich, was sich bewegt, wenn man diesen Moment bewusst wieder einnimmt.
Ich freue mich, von Ihnen zu hören.
Herzlichst,
Ihre Petra Flachsbarth
Wer tiefer einsteigen möchte
- Leadership Presence: Konzeptanalyse – Walker & Avant (2022) untersuchten den Begriff „Leadership Presence“, identifizierten zentrale Merkmale und zeigten deren Einfluss auf Organisationsergebnisse und Mitarbeiterengagement
- Affective Presence und Teamleistung/Innovation – Madrid et al. (2020) zeigen im Kontext von Teams, dass das positive emotionale Erscheinen von Führungskräften (z. B. Enthusiasmus, Inspiration) stärker mit Informationsaustausch und Team-Innovation korreliert als andere Führungsstile
- Engaging Leadership (engagierende Führung) – Eine Längsschnittstudie belegt: wer vermehrt bewusst präsent (engagiert) führt, steigert signifikant Team-Learning und Team‑Leistung